Detlef Rönfeldt



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Stunde der Füchse |Presse

 
Werner A. Perger schrieb in der ZEIT (Nr. 50, 10. Dezember 1993):

 

Deutscher Herbst, Kanzlerkrise, Putschgerüchte – es ist wie im richtigen Leben. Wie im Roman. Wie im Film, der nach Motiven des Romans entstand

Zeit der Füchse

Ein deutscher Herbst, irgendwann in den neunziger Jahren. Es regnet wie zu Zeiten der Sintflut, und politisch stehen die Zeichen auf Sturm. Kanzlerkrise, Putschgerüchte, der Parteitag, die Rechtsradikalen, das Attentat, ein Unfall. Im Leben des Abteilungsleiters Wolfgang Klaasen gerät einiges durcheinander, in der Welt des Kanzlers K. auch. Es ist wie im richtigen Leben. Oder wie im Film. Oder im Roman. Eine Geschichte auf drei Ebenen. Welche ist die Wirklichkeit?

„Gegner musste man bekämpfen, und besiegte Gegner durfte man nicht zu großmütig behandeln. Posten wurden nur an verdiente Kampfgefährten vergeben. Wer im Dschungel lebte, brauchte Freunde und musste seine Feinde kennen. Das war das Gesetz.“ (Wulf Schönbohm)

Die Welt, in der diese Gesetze gelten, ist die Welt des Kanzlers K. In ihr ist er groß geworden, nach ihren Gesetzen wird er fallen. Er weiß das. Danach handelt er, mitleidlos, brutal, erfolgreich. Bis zum Ende. Werden wir es erleben?

K. steht für Klumper. Er könnte auch Kohl heißen, aber das wäre plump. Außerdem stammt K. aus Baden-Württemberg und ist nur 177 Zentimeter groß. Das macht einen Unterschied. Doch der spielt keine Rolle. Dieser K. ist auf allen drei Ebenen identisch mit dem real existierenden K., „eine politische Kampfmaschine“ nennt ihn der Romanautor. Eine Machtnatur. Im Film, der aus dem Roman entstand, tritt er nicht auf, prangt nur auf Plakaten. Aber K. bestimmt den Hintergrund des Geschehens, in dem es um sein politisches Überleben geht. Im Vordergrund agieren diejenigen, die dabei auf der Strecke bleiben.

Wolfgang Klaasen zum Beispiel. Ein kluger Kopf, promovierter Politologe. Er leitet die Politische Abteilung der „Regierungspartei“, wie es – aus öffentlich-rechtlicher Rücksichtnahme – etwas verschämt heißt. Obwohl es sich dabei einwandfrei um die CDU handelt, für die der Autor der Romanvorlage viele Jahre als Leiter ebendieser Abteilung tätig war, passte das Ambiente auch auf die SPD, versichert der Produzent des Films. Der wiederum hatte, auf der anderen Seite der Bundesstraße 9 in Bonn, in der „Baracke“, mehrere Jahre als Leiter der Abteilung für Öffentlichkeit gewirkt. Die beiden kennen das Milieu.

Klaasen trägt einen Vollbart, kurz geschnitten. Wache Augen, scharfer Verstand. Nicht sehr farbig, ohne Charisma, aber sehr zuverlässig, loyal. Ein typischer Vertreter der Bonner Mitarbeiter- und Angestelltenkultur. In der Partei halten viel ihn für einen Linken, insofern ist die Figur angelehnt an den Autor als reales Modell, der als „Achtundsechziger“ der CDU dem realen Kanzler nie ganz geheuer war.

Klaasen dient treu und ergeben seinem unmittelbaren Chef, dem Generalsekretär. An ihm bewundert er Wahrheitsliebe und moralische Strenge. Als das Vorbild die Wahrheit beugt, stürzt das Klaasen in eine existenzielle Krise. Er hat ein stattliches Haus, eine einsame, von ihm, von Bonn und vom Leben enttäuschte Ehefrau und ein Verhältnis mit der Parteisprecherin.

Jerry Leister, ein Werbefachmann, ist für die Öffentlichkeitsarbeit der Partei zuständig, ein flinker Zyniker, über den ausgebrannten Kanzler macht er sich intern lustig, Politik versteht er als Showgeschäft, das Publikum in diesem ewigen Zirkus nennt er den „Wähler, die dumme Sau“, und K.s rechten Herausforderer ein „reaktionäres Arschloch“. Ein smarter Profi, kein Kind von Traurigkeit: Strukturelle Ähnlichkeiten mit Peter Radunski, dem langjährigen Wahlkampfchef der CDU, müssen kein Zufall sein.

Charlotte Klaasen, die hilflos leidende Frau, eifersüchtig, einsam und abhängig von Tabletten, deren Autounfall die Story eröffnet, und Petra Soltorius, die Karrierefrau auf dem Sprecherposten, smart, skrupellos, bereit zur Anpassung an neue Realitäten: Die beiden Frauen sind Figuren aus der Bonner Realität, doch sie bleiben im Film wie im Roman merkwürdig blass. Eine verschenkte Gelegenheit. Das Private bleibt Staffage für das Politische. Das wiederum ist authentisch.

Schließlich ist da die andere, die eigentliche Hauptfigur: Hermann Rais, der Generalsekretär. Der Mann, bei dem alles zusammenläuft, der eigentliche Kopf der Partei. Der mutige Kämpfer und weise Stratege, der Mann, der dem Kanzler die unangenehmen Wahrheiten sagt, was allmählich zur Entfremdung führt, der sich im Machtkampf die Hände dreckig macht und, wenn’s denn der Sache dient, sich auch opfert. Der Parteirechten gilt er als „Linker“.

Den 1,72 Meter großen, schlanken, fast schmächtig wirkenden Mann mit den asketischen Zügen hätte man sich gut als Kardinal vorstellen können. Seine schärfsten innerparteilichen Gegner von ganz rechts hatten ihm den Spitznamen „Savonarola“ gegeben. Damit spielten sie auf seine vorspringende Hakennase und sein südländisches Aussehen an, aber gleichzeitig wollten sie ihn dadurch auch als gefährlichen Sozialreformer und unberechenbaren Radikalen abstempeln.“ (Wulf Schönbohm)

Wann genau das Vertrauensverhältnis zwischen K. und Heiner Geißler zerbrach, ist auf den Tag nicht festzulegen. Spätestens seit dem für die Union nicht erfreulichen Wahlausgang 1987 ging es bergab. Wie der intellektuelle Mitarbeiterstab des CDU-Generalsekretärs – die „Klaasens“ und „Leisters“, die Radunskis, Schönbohms, Dettlings – in Wahlanalysen die Defizite von Partei und Regierung als Ursache für das schlechte Abschneiden der CDU definierte, verstand K. als persönlichen Angriff und Akt der Illoyialität. Danach kam Wiesbaden, doch davon später.

Den Vorwurf von FAZ und Springer-Blättern, Geißler wolle die Partei nach links öffnen, machte K. sich nicht ausdrücklich zu eigen. Den Verdacht aber hegte er mit großer Intensität. Geißlers Mitarbeiter verdächtigte er der Illoyalität, durch nichts war er davon abzubringen, zumal sein Nudelküchenkabinett ihn darin bestätigte.

Der Bruch wird öffentlich, als K. im Sommer 1989 seinen Generalsekretär einfach nicht mehr zur Wiedewahl vorschlägt, ihn also feuert. Das letzte Kapitel der politischen Ära des Kanzlers K. beginnt: die Phase der Verengung.

In der Parteizentrale folgt eine Säuberungswelle. Der Leiter der Planungsabteilung im Konrad-Adenauer-Haus, Wulf Schönbohm, 1968 Bundesvorsitzender des CDU-Studentenverbandes (RCDS), ist einer der ersten, die auf K.s Geheiß vor die Tür gesetzt werden (für die Öffentlichkeit trennt man sich „einvernehmlich“). Das Manuskript zu seinem Parteiroman „Parteifreunde“ hat er da bereits abgeschlossen.

Soweit diese Aufarbeitung politischer Erfahrungen überhaupt ein „Roman“ wurde, ist es gewiss ein Schlüsselroman. Vor allem aber ist „Parteifreunde“ das erste umfassende Innenpanorama der politischen Verhältnisse im Parteienstaat. So las es der Mann von der anderen Straßenseite, Jörg Richter, der SPD-Mann aus Bonn, inzwischen Filmproduzent in Hamburg. An Schönbohms Buch interessierte ihn nicht die Entschlüsselung der einzelnen Figuren. Ihn faszinierten die Archetypen und die Strukturen. Bei der Lektüre fühlte er sich, erzählt er, an seine Zeit im Kanzleramt unter Brandt und Schmidt erinnert und dann an die Jahre bei Bahr in der Parteizentrale. Das machtpolitische Geschiebe und Gedränge in der Partei, auf Parteitagen, der Krieg über die Medien, der Alltag der Redenschreiber und Zuarbeiter: wie bei uns. Anfang 1991 kam es zur ersten Begegnung zwischen Produzent und Autor.

Aus der Zusammenarbeit entstand der Film zum Buch. Die Originalstory wurde gehörig dramatisiert, gekürzt, zugespitzt. Dafür möchte der Romanautor nicht haftbar sein. „Nach Motiven des Romans von Wulf Schönbohm“, heißt es im Vorspann. Der Mann lebt ja nicht irgendwo auf einem fremden Stern, außerhalb der Reichweite K.s. Schönbohm leitet heute die Grundsatzabteilung bei Erwin Teufel in Stuttgart. Was immerhin die fromme Vermutung nährt: Es könnte noch Fürsten geben im Land, die fürchten den langen Arm des Kanzlers nicht.

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Eine der dramatischen Situationen im Abstieg der handelnden Personen auf allen drei Ebenen ist jene Studie über K., in der dieser schlecht wegkommt. Klaasen bekommt sie von einem alten Freund aus fernen Tagen präsentiert, ein Psychogramm mit vernichtendem Urteil über die Persönlichkeit des Vorsitzenden und Kanzlers. Die Partei könne sie durch Ankauf vom Markt holen, raunt der alte Freund, der sich gegen das Wort „Erpressung“ sträubt und nach dem Wohlbefinden von Charlotte Klaasen fragt. Er hat sie seinerzeit vergeblich umworben. Gegen Klaasens Rat weigert sich Rais, der Generalsekretär, sich auf das Geschäft mit dem windigen Nachrichtenhändler einzulassen. Klaasen gibt die Studie zurück, wird dabei photographiert – die Falle schnappt zu. Kurz darauf die Schlagzeilen auf dem Boulevard: „Klumper ein Psychopath?“ Steckt Klaasen, der enge Mitarbeiter des Generalsekretärs, hinter der Sache? Skandal!

„Das kann Sie Ihren Job kosten“, schimpft Rais in der Krisensitzung. „Der Kanzler tobt. Er sieht sowieso schon überall Verräter.“ Klaasen soll rauskriegen, wer hinter der Studie steckt. Wenn man die Sache K.s Gegenkandidaten vom rechten Parteiflügel anhängen könnte, dann wäre die Schlacht gewonnen. „Aber dazu brauche ich was Handfestes.“ Klaasen macht sich auf die Suche nach den Hintermännern. Die Spur muss zu Bernhuber führen, dem Herausforderer. Er ist der bayerische Ministerpräsident. (Das allerdings wird dem Publikum verborgen bleiben. Wer Lippen lesen kann, könnte das dem Film zwar entnehmen. Rais-Darsteller Jürgen Hentzsch spricht noch den Originaltext. Im letzten Moment aber, nach Drehschluss, wurde dieser potentielle öffentlich-rechtliche Stolperstein eliminiert, stattdessen aus Tonschnipseln ein „Ministerpräsident eines großen Bundeslandes“ gebastelt und drübergelegt.)

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Den ganzen Tag hat es geregnet. Nun, an diesem Hamburger Spätsommerabend, könnte es trocken werden. Doch in dieser Produktion herrscht Endzeitstimmung, das hat der Regisseur sich so ausgedacht. Der Regenmacher mit seinem Feuerwehrschlauch tritt in Aktion.

Der letzte Drehtag für „Stunde der Füchse“. Auch die Story nähert sich dem Höhepunkt. Wasser marsch! Das Taxi, mit Bonner Nummernschild, rauscht heran. Siemen Rühaak alias Klaasen springt aus dem Auto, rennt durch den Wasserschleier zum Haus. Rais wohnt hier, in dieser Hamburger Patriziervilla, die wohl irgendwo in Bonn-Bad Godesberg zu vermuten ist.

Viermal fährt das Taxi vor. Dann sitzt die Szene. Wechsel vor das Haus. Regen. Rühaak-Klaasen, patschnass, an der Tür, wartet auf Jürgen Hentsch alias Rais. Der öffnet, zeigt eine erstaunte Miene, beruhigt den erregten Mitarbeiter. Rühaak-Klaasen legt los, denn er weiß alles, hat Material über das gesamte Komplott Bernhubers gegen den ungeliebten, aber wenigstens nicht rechtsreaktionären Kanzler: „Das ist der Beweis...“ Einmla verhaspelt sich Rühaak, einmal kommt Hentsch-Rais nicht richtig ins Bild, alle sind klamm vor Nässe und Sommernachtskälte. Dann passt die Szene.

Klaasen hat die nötigen Unterlagen, doch was damit geschieht, ist eine andere Sache. Der ewig durchnässte Don Quichote der Partei ist zu spät gekommen. Hautnah erfährt er die Regeln, nach denen die Makler der Macht ihr Spiel betreiben. Einer wie er hat da nichts zu gewinnen.

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Am Samstag vor dem Wiesbadener CDU-Parteitag im Juni 1988 melden die Nachrichtenagenturen, Bild am Sonntag werde am nächsten Tag über ein internes Papier aus dem Konrad-Adenauer-Haus berichten. Die Autoren des Papiers, zu denen lau BamS enge Mitarbeiter Heiner Geißlers gehörten, empfehlen die baldige Ablösung des Bundeskanzlers. In Wiesbaden tagen bereits die Führungsgremien, um den Parteitag vorzubereiten. Die Meldung schlägt ein, denn die Geschichte klingt einigermaßen plausibel; die Führungsschwäche des Vorsitzenden K. ist ja auch ohne das Papier ein aktuelles Thema.

Der Pressesprecher dementiert. Der Generalsekretär interveniert umgehend in der Chefredaktion, droht rechtliche und politische Schritte an. BamS schwächt daraufhin die sensationell aufgemachte Meldung – „Die Wahrheit über das Kol-Papier“ – unwesentlich ab, schickt Geißlers Dementi zwar im Wortlaut voraus, bleibt dann aber bei der Version, das Papier stamme von Mitarbeitern aus CDU und Adenauer-Stiftung. Der Bericht beeinflusst die Stimmung auf dem Parteitag und die Berichterstattung über ihn.

Vier Jahre danach schreibt Heiner Geißler über die Folgen für sein Verhältnis zu K.: „Im Laufe des Parteitags erschienen dann die ersten Meldungen über ein unheilbares Zerwürfnis zwischen ihm und mir. Heute wissen wir, was ich schon damals vermutete hatte, dass das Papier ein Stasi-Papier war.“

Während der nächtlichen Fahrt von einer Veranstaltung aus der Eifel zurück nach Bonn wird auf das – gepanzerte – Auto des Generalsekretärs geschossen, ein Zwischenfall, offenbar mehr eine Demonstration gegen den Linkskurs von Rais als ein regelrechtes Attentat auf ihn. Sofern es sich nicht gar, wie der coole Jerry Leister meint, nur um die verirrte Kugel eines Försters handelt.

Was niemand wissen konnte: Im Fond saß, auf Grund eines spontanen Entschlusses, auch Kanzler K., der Mann mit dem Popularitätstief, das der Partei Kummer macht. Die Versuchung ist groß, daraus ein „Attentat auf den Kanzler“ zu machen. So geschieht es. Leister bastelt dazu eilig das Bekennerschreiben einer rechtsradikalen Organisation. Der Mitleidsbonus – (Leister: „Engholm-Effekt“) – scheint gesichert. Für den braven Klaasen bricht, als er die Hintergründe erfährt, eine Welt zusammen.

Rais beruhigt ihn: „Je tiefer man den Dingen auf den Grund geht, desto mehr Wahrheiten findet man doch. Aber als Politiker muss man sich entscheiden, sonst kann man nicht handeln.“ Dies sei keine Zeit zum Philosophieren. „Von rechts drängen Leute an die Macht.“ Leute wie Bernhuber und Schlimmere.

Aber was ist mit der Wahrheit? Fragt Klaasen. Rais: „Dieses Land verträgt keine rechtsradikalen Experimente. Kein Land tut das. Das ist die Wahrheit. Oder sollen wir mit unseren Prinzipien untergehen?“

Der Film hat keine Moral, weniger noch als das Buch. Er zeigt Ausschnitte aus der Wirklichkeit, verfremdet. Leicht hätte eine Politker- und Parteienbeschimpfung daraus werden können. Autor, Produzent, Regisseur und die Schauspieler haben sich davor gehütet. Sie zeigen Politiker als Täter, die auch Opfer werden. Getriebene, denen es vermutlich auch um die Sache geht, die ihre Zeit und Energie aber vor allem in die Frage aller Fragen investieren: in die Machtfrage.

Alles in allem ist das wie im richtigen Leben. Übertrieben, wird der reale Generalsekretär von damals vielleicht sagen, wenn er sich öffentlich einlässt. Aber dennoch glaubwürdig, authentisch. Drei Ebenen, Roman, Film und Wirklichkeit, sind weitgehend austauschbar.

Die wirkliche Wirklichkeit bleibt der Fiktion allerdings  nichts schuldig. In der realen Welt unseres Herrn K. gerät einiges durcheinander. Sein Kampf geht weiter. Man könnte, fürs erste, einen kleinen Roman daraus machen.

Die Kursivzitate entnahmen wir dem Roman „Parteifreunde“ von Wulf Schönbohm (Econ-Verlag, Taschenbuchausgabe 1993). Der Fernsehfilm „Stunde der Füchse“ läuft am Mittwoch, dem 22. Dezember, um 20.15 Uhr im ARD-Programm.

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