Detlef
Rönfeldt
Veröffentlichungen |
Deutscher Herbst, Kanzlerkrise, Putschgerüchte – es ist
wie im richtigen Leben. Wie im Roman. Wie im Film, der nach Motiven des
Romans entstand Zeit der Füchse Ein deutscher Herbst, irgendwann in den neunziger
Jahren. Es regnet wie zu Zeiten der Sintflut, und politisch stehen die
Zeichen auf Sturm. Kanzlerkrise, Putschgerüchte, der Parteitag, die
Rechtsradikalen, das Attentat, ein Unfall. Im Leben des Abteilungsleiters
Wolfgang Klaasen gerät einiges durcheinander, in der Welt des Kanzlers K.
auch. Es ist wie im richtigen Leben. Oder wie im Film. Oder im Roman. Eine
Geschichte auf drei Ebenen. Welche ist die Wirklichkeit? „Gegner
musste man bekämpfen, und besiegte Gegner durfte man nicht zu großmütig
behandeln. Posten wurden nur an verdiente Kampfgefährten vergeben. Wer im
Dschungel lebte, brauchte Freunde und musste seine Feinde kennen. Das war das
Gesetz.“ (Wulf Schönbohm) Die Welt, in der diese Gesetze gelten, ist die Welt des
Kanzlers K. In ihr ist er groß geworden, nach ihren Gesetzen wird er fallen.
Er weiß das. Danach handelt er, mitleidlos, brutal, erfolgreich. Bis zum
Ende. Werden wir es erleben? K. steht für Klumper. Er könnte auch Kohl heißen, aber
das wäre plump. Außerdem stammt K. aus Baden-Württemberg und ist nur 177
Zentimeter groß. Das macht einen Unterschied. Doch der spielt keine Rolle.
Dieser K. ist auf allen drei Ebenen identisch mit dem real existierenden K.,
„eine politische Kampfmaschine“ nennt ihn der Romanautor. Eine Machtnatur. Im
Film, der aus dem Roman entstand, tritt er nicht auf, prangt nur auf
Plakaten. Aber K. bestimmt den Hintergrund des Geschehens, in dem es um sein
politisches Überleben geht. Im Vordergrund agieren diejenigen, die dabei auf
der Strecke bleiben. Wolfgang Klaasen zum Beispiel. Ein kluger Kopf,
promovierter Politologe. Er leitet die Politische Abteilung der „Regierungspartei“,
wie es – aus öffentlich-rechtlicher Rücksichtnahme – etwas verschämt heißt.
Obwohl es sich dabei einwandfrei um die CDU handelt, für die der Autor der
Romanvorlage viele Jahre als Leiter ebendieser Abteilung tätig war, passte
das Ambiente auch auf die SPD, versichert der Produzent des Films. Der
wiederum hatte, auf der anderen Seite der Bundesstraße 9 in Bonn, in der
„Baracke“, mehrere Jahre als Leiter der Abteilung für Öffentlichkeit gewirkt.
Die beiden kennen das Milieu. Klaasen trägt einen Vollbart, kurz geschnitten. Wache
Augen, scharfer Verstand. Nicht sehr farbig, ohne Charisma, aber sehr
zuverlässig, loyal. Ein typischer Vertreter der Bonner Mitarbeiter- und
Angestelltenkultur. In der Partei halten viel ihn für einen Linken, insofern
ist die Figur angelehnt an den Autor als reales Modell, der als
„Achtundsechziger“ der CDU dem realen Kanzler nie ganz geheuer war. Klaasen dient treu und ergeben seinem unmittelbaren
Chef, dem Generalsekretär. An ihm bewundert er Wahrheitsliebe und moralische
Strenge. Als das Vorbild die Wahrheit beugt, stürzt das Klaasen in eine
existenzielle Krise. Er hat ein stattliches Haus, eine einsame, von ihm, von
Bonn und vom Leben enttäuschte Ehefrau und ein Verhältnis mit der
Parteisprecherin. Jerry Leister, ein Werbefachmann, ist für die
Öffentlichkeitsarbeit der Partei zuständig, ein flinker Zyniker, über den
ausgebrannten Kanzler macht er sich intern lustig, Politik versteht er als
Showgeschäft, das Publikum in diesem ewigen Zirkus nennt er den „Wähler, die
dumme Sau“, und K.s rechten Herausforderer ein „reaktionäres Arschloch“. Ein
smarter Profi, kein Kind von Traurigkeit: Strukturelle Ähnlichkeiten mit
Peter Radunski, dem langjährigen Wahlkampfchef der CDU, müssen kein Zufall
sein. Charlotte Klaasen, die hilflos leidende Frau,
eifersüchtig, einsam und abhängig von Tabletten, deren Autounfall die Story
eröffnet, und Petra Soltorius, die Karrierefrau auf dem Sprecherposten,
smart, skrupellos, bereit zur Anpassung an neue Realitäten: Die beiden Frauen
sind Figuren aus der Bonner Realität, doch sie bleiben im Film wie im Roman
merkwürdig blass. Eine verschenkte Gelegenheit. Das Private bleibt Staffage
für das Politische. Das wiederum ist authentisch. Schließlich ist da die andere, die eigentliche Hauptfigur:
Hermann Rais, der Generalsekretär. Der Mann, bei dem alles zusammenläuft, der
eigentliche Kopf der Partei. Der mutige Kämpfer und weise Stratege, der Mann,
der dem Kanzler die unangenehmen Wahrheiten sagt, was allmählich zur
Entfremdung führt, der sich im Machtkampf die Hände dreckig macht und, wenn’s
denn der Sache dient, sich auch opfert. Der Parteirechten gilt er als
„Linker“. „Den 1,72 Meter
großen, schlanken, fast schmächtig wirkenden Mann mit den asketischen Zügen
hätte man sich gut als Kardinal vorstellen können. Seine schärfsten
innerparteilichen Gegner von ganz rechts hatten ihm den Spitznamen
„Savonarola“ gegeben. Damit spielten sie auf seine vorspringende Hakennase
und sein südländisches Aussehen an, aber gleichzeitig wollten sie ihn dadurch
auch als gefährlichen Sozialreformer und unberechenbaren Radikalen
abstempeln.“ (Wulf Schönbohm) Wann genau das Vertrauensverhältnis zwischen K. und
Heiner Geißler zerbrach, ist auf den Tag nicht festzulegen. Spätestens seit
dem für die Union nicht erfreulichen Wahlausgang 1987 ging es bergab. Wie der
intellektuelle Mitarbeiterstab des CDU-Generalsekretärs – die „Klaasens“ und
„Leisters“, die Radunskis, Schönbohms, Dettlings – in Wahlanalysen die
Defizite von Partei und Regierung als Ursache für das schlechte Abschneiden
der CDU definierte, verstand K. als persönlichen Angriff und Akt der
Illoyialität. Danach kam Wiesbaden, doch davon später. Den Vorwurf von FAZ
und Springer-Blättern, Geißler wolle die Partei nach links öffnen, machte K.
sich nicht ausdrücklich zu eigen. Den Verdacht aber hegte er mit großer
Intensität. Geißlers Mitarbeiter verdächtigte er der Illoyalität, durch
nichts war er davon abzubringen, zumal sein Nudelküchenkabinett ihn darin
bestätigte. Der Bruch wird öffentlich, als K. im Sommer 1989 seinen
Generalsekretär einfach nicht mehr zur Wiedewahl vorschlägt, ihn also feuert.
Das letzte Kapitel der politischen Ära des Kanzlers K. beginnt: die Phase der
Verengung. In der Parteizentrale folgt eine Säuberungswelle. Der
Leiter der Planungsabteilung im Konrad-Adenauer-Haus, Wulf Schönbohm, 1968
Bundesvorsitzender des CDU-Studentenverbandes (RCDS), ist einer der ersten,
die auf K.s Geheiß vor die Tür gesetzt werden (für die Öffentlichkeit trennt
man sich „einvernehmlich“). Das Manuskript zu seinem Parteiroman
„Parteifreunde“ hat er da bereits abgeschlossen. Soweit diese Aufarbeitung politischer Erfahrungen
überhaupt ein „Roman“ wurde, ist es gewiss ein Schlüsselroman. Vor allem aber
ist „Parteifreunde“ das erste umfassende Innenpanorama der politischen
Verhältnisse im Parteienstaat. So las es der Mann von der anderen
Straßenseite, Jörg Richter, der SPD-Mann aus Bonn, inzwischen Filmproduzent
in Hamburg. An Schönbohms Buch interessierte ihn nicht die Entschlüsselung
der einzelnen Figuren. Ihn faszinierten die Archetypen und die Strukturen.
Bei der Lektüre fühlte er sich, erzählt er, an seine Zeit im Kanzleramt unter
Brandt und Schmidt erinnert und dann an die Jahre bei Bahr in der
Parteizentrale. Das machtpolitische Geschiebe und Gedränge in der Partei, auf
Parteitagen, der Krieg über die Medien, der Alltag der Redenschreiber und
Zuarbeiter: wie bei uns. Anfang 1991 kam es zur ersten Begegnung zwischen
Produzent und Autor. Aus der Zusammenarbeit entstand der Film zum Buch. Die
Originalstory wurde gehörig dramatisiert, gekürzt, zugespitzt. Dafür möchte
der Romanautor nicht haftbar sein. „Nach Motiven des Romans von Wulf
Schönbohm“, heißt es im Vorspann. Der Mann lebt ja nicht irgendwo auf einem
fremden Stern, außerhalb der Reichweite K.s. Schönbohm leitet heute die
Grundsatzabteilung bei Erwin Teufel in Stuttgart. Was immerhin die fromme
Vermutung nährt: Es könnte noch Fürsten geben im Land, die fürchten den
langen Arm des Kanzlers nicht. * Eine der dramatischen Situationen im Abstieg der
handelnden Personen auf allen drei Ebenen ist jene Studie über K., in der
dieser schlecht wegkommt. Klaasen bekommt sie von einem alten Freund aus
fernen Tagen präsentiert, ein Psychogramm mit vernichtendem Urteil über die
Persönlichkeit des Vorsitzenden und Kanzlers. Die Partei könne sie durch
Ankauf vom Markt holen, raunt der alte Freund, der sich gegen das Wort
„Erpressung“ sträubt und nach dem Wohlbefinden von Charlotte Klaasen fragt.
Er hat sie seinerzeit vergeblich umworben. Gegen Klaasens Rat weigert sich Rais,
der Generalsekretär, sich auf das Geschäft mit dem windigen
Nachrichtenhändler einzulassen. Klaasen gibt die Studie zurück, wird dabei
photographiert – die Falle schnappt zu. Kurz darauf die Schlagzeilen auf dem
Boulevard: „Klumper ein Psychopath?“ Steckt Klaasen, der enge Mitarbeiter des
Generalsekretärs, hinter der Sache? Skandal! „Das kann Sie Ihren Job kosten“, schimpft Rais in der
Krisensitzung. „Der Kanzler tobt. Er sieht sowieso schon überall Verräter.“
Klaasen soll rauskriegen, wer hinter der Studie steckt. Wenn man die Sache
K.s Gegenkandidaten vom rechten Parteiflügel anhängen könnte, dann wäre die
Schlacht gewonnen. „Aber dazu brauche ich was Handfestes.“ Klaasen macht sich
auf die Suche nach den Hintermännern. Die Spur muss zu Bernhuber führen, dem
Herausforderer. Er ist der bayerische Ministerpräsident. (Das allerdings wird
dem Publikum verborgen bleiben. Wer Lippen lesen kann, könnte das dem Film
zwar entnehmen. Rais-Darsteller Jürgen Hentzsch spricht noch den
Originaltext. Im letzten Moment aber, nach Drehschluss, wurde dieser
potentielle öffentlich-rechtliche Stolperstein eliminiert, stattdessen aus
Tonschnipseln ein „Ministerpräsident eines großen Bundeslandes“ gebastelt und
drübergelegt.) * Den ganzen Tag hat es geregnet. Nun, an diesem Hamburger
Spätsommerabend, könnte es trocken werden. Doch in dieser Produktion herrscht
Endzeitstimmung, das hat der Regisseur sich so ausgedacht. Der Regenmacher
mit seinem Feuerwehrschlauch tritt in Aktion. Der letzte Drehtag für „Stunde der Füchse“. Auch die
Story nähert sich dem Höhepunkt. Wasser marsch! Das Taxi, mit Bonner
Nummernschild, rauscht heran. Siemen Rühaak alias Klaasen springt aus dem
Auto, rennt durch den Wasserschleier zum Haus. Rais wohnt hier, in dieser
Hamburger Patriziervilla, die wohl irgendwo in Bonn-Bad Godesberg zu vermuten
ist. Viermal fährt das Taxi vor. Dann sitzt die Szene.
Wechsel vor das Haus. Regen. Rühaak-Klaasen, patschnass, an der Tür, wartet
auf Jürgen Hentsch alias Rais. Der öffnet, zeigt eine erstaunte Miene,
beruhigt den erregten Mitarbeiter. Rühaak-Klaasen legt los, denn er weiß
alles, hat Material über das gesamte Komplott Bernhubers gegen den
ungeliebten, aber wenigstens nicht rechtsreaktionären Kanzler: „Das ist der
Beweis...“ Einmla verhaspelt sich Rühaak, einmal kommt Hentsch-Rais nicht
richtig ins Bild, alle sind klamm vor Nässe und Sommernachtskälte. Dann passt
die Szene. Klaasen hat die nötigen Unterlagen, doch was damit
geschieht, ist eine andere Sache. Der ewig durchnässte Don Quichote der
Partei ist zu spät gekommen. Hautnah erfährt er die Regeln, nach denen die
Makler der Macht ihr Spiel betreiben. Einer wie er hat da nichts zu gewinnen. * Am Samstag vor dem Wiesbadener CDU-Parteitag im Juni
1988 melden die Nachrichtenagenturen, Bild
am Sonntag werde am nächsten Tag über ein internes Papier aus dem
Konrad-Adenauer-Haus berichten. Die Autoren des Papiers, zu denen lau BamS enge Mitarbeiter Heiner Geißlers
gehörten, empfehlen die baldige Ablösung des Bundeskanzlers. In Wiesbaden
tagen bereits die Führungsgremien, um den Parteitag vorzubereiten. Die Meldung
schlägt ein, denn die Geschichte klingt einigermaßen plausibel; die
Führungsschwäche des Vorsitzenden K. ist ja auch ohne das Papier ein
aktuelles Thema. Der Pressesprecher dementiert. Der Generalsekretär
interveniert umgehend in der Chefredaktion, droht rechtliche und politische
Schritte an. BamS schwächt
daraufhin die sensationell aufgemachte Meldung – „Die Wahrheit über das
Kol-Papier“ – unwesentlich ab, schickt Geißlers Dementi zwar im Wortlaut
voraus, bleibt dann aber bei der Version, das Papier stamme von Mitarbeitern
aus CDU und Adenauer-Stiftung. Der Bericht beeinflusst die Stimmung auf dem
Parteitag und die Berichterstattung über ihn. Vier Jahre danach schreibt Heiner Geißler über die
Folgen für sein Verhältnis zu K.: „Im Laufe des Parteitags erschienen dann
die ersten Meldungen über ein unheilbares Zerwürfnis zwischen ihm und mir.
Heute wissen wir, was ich schon damals vermutete hatte, dass das Papier ein
Stasi-Papier war.“ Während der nächtlichen Fahrt von einer Veranstaltung
aus der Eifel zurück nach Bonn wird auf das – gepanzerte – Auto des
Generalsekretärs geschossen, ein Zwischenfall, offenbar mehr eine
Demonstration gegen den Linkskurs von Rais als ein regelrechtes Attentat auf
ihn. Sofern es sich nicht gar, wie der coole Jerry Leister meint, nur um die
verirrte Kugel eines Försters handelt. Was niemand wissen konnte: Im Fond saß, auf Grund eines
spontanen Entschlusses, auch Kanzler K., der Mann mit dem Popularitätstief,
das der Partei Kummer macht. Die Versuchung ist groß, daraus ein „Attentat
auf den Kanzler“ zu machen. So geschieht es. Leister bastelt dazu eilig das
Bekennerschreiben einer rechtsradikalen Organisation. Der Mitleidsbonus – (Leister:
„Engholm-Effekt“) – scheint gesichert. Für den braven Klaasen bricht, als er
die Hintergründe erfährt, eine Welt zusammen. Rais beruhigt ihn: „Je tiefer man den Dingen auf den
Grund geht, desto mehr Wahrheiten findet man doch. Aber als Politiker muss
man sich entscheiden, sonst kann man nicht handeln.“ Dies sei keine Zeit zum
Philosophieren. „Von rechts drängen Leute an die Macht.“ Leute wie Bernhuber
und Schlimmere. Aber was ist mit der Wahrheit? Fragt Klaasen. Rais: „Dieses
Land verträgt keine rechtsradikalen Experimente. Kein Land tut das. Das ist die Wahrheit. Oder sollen wir
mit unseren Prinzipien untergehen?“ Der Film hat keine Moral, weniger noch als das Buch. Er
zeigt Ausschnitte aus der Wirklichkeit, verfremdet. Leicht hätte eine
Politker- und Parteienbeschimpfung daraus werden können. Autor, Produzent,
Regisseur und die Schauspieler haben sich davor gehütet. Sie zeigen Politiker
als Täter, die auch Opfer werden. Getriebene, denen es vermutlich auch um die
Sache geht, die ihre Zeit und Energie aber vor allem in die Frage aller
Fragen investieren: in die Machtfrage. Alles in allem ist das wie im richtigen Leben. Übertrieben,
wird der reale Generalsekretär von damals vielleicht sagen, wenn er sich
öffentlich einlässt. Aber dennoch glaubwürdig, authentisch. Drei Ebenen,
Roman, Film und Wirklichkeit, sind weitgehend austauschbar. Die wirkliche Wirklichkeit bleibt der Fiktion
allerdings nichts schuldig. In der
realen Welt unseres Herrn K. gerät einiges durcheinander. Sein Kampf geht
weiter. Man könnte, fürs erste, einen kleinen Roman daraus machen. Die Kursivzitate entnahmen wir dem Roman „Parteifreunde“
von Wulf Schönbohm (Econ-Verlag, Taschenbuchausgabe 1993). Der Fernsehfilm „Stunde
der Füchse“ läuft am Mittwoch, dem 22. Dezember, um 20.15 Uhr im
ARD-Programm. |