Detlef Rönfeldt

Hurenglück | Presse

 

 

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FUNK-KORRESPONDENZ, Februar 1991

 

Bemerkenswert

Eva und Horst Kummeth: „Hurenglück“

ZDF So 27.1.

 

Es gibt zweierlei Arten, diesen Film zu sehen und ihn zu interpretieren. Der Zuschauer – zumal der gebildete – er könnte sich darauf kaprizieren, dass der Fernsehfilm von Eva und Horst Kummeth etwas mit Groschenheft-Romantik zu tun habe. Da wird eine Geschichte von einer ehemaligen Hure (Eva) erzählt, die jetzt im bürgerlichen Leben, das sie sich mühsam und unter falschem Namen erkämpft hat, auch noch mit einem geistig behinderten Kind (Oliver) „gestraft“ wird. Das ist Ausgangspunkt für ein dramatisches Geschehen. Aber nicht genug: Nach zwanzig Jahren taucht dann auch noch der alte Zuhälter (Hager) auf und will alte Schulden eintreiben. Dieser Mann, der die ruhe der Kleinfamilie bis aufs Messer provoziert und stört, ist die fleischgewordene Brutalität. Das böse Monster vergewaltigt in einer grausamen Sequenz sein Opfer. Dann folgt der Showdown: Der Lude wird von Eva zur Strecke gebracht, der Jaguar mit Zange und Schlüssel für die Himmelfahrt präpariert. Bei der Todesfahrt wird aber nach der Auflage des Drehbuchs auch das unglückselige Kind sitzen [Anm.: Hier irrt der Kritiker. Im Drehbuch gab es einen ganz anderen Schluss. Hager fiel durch eine Bodenklappe in den Keller. Dieser Schluss erschien dem Regisseur aber von Anfang an als reiner „Theatereffekt“. Er setzte im Verlauf der Arbeit seine eigene Schlussversion durch, gegen den Widerstand der Schauspieler übrigens]. Mit dem Bösewicht – er ist immer unrasiert – wird das Häuflein Elend durch eine Verkettung von tragischen Umständen auch den Tod im Straßengraben finden – deus-ex-machina für einen Zuhälter, Erlösung für die geschundene Eva, in fataler Weise auch für das zweite Opfer, für das Kind – und ein brennender Wagen. Es ist ein Jaguar, kein Mercedes. Vielleicht ist das besonders schlimm. Man kann als geschulter Zuschauer, der auf ausgewogene Fernsehgeschichten setzt, auch noch die Nebenhandlung mit dem Chorleiter Grosser bemängeln. Es ließe sich einwenden, die Hure mit leicht tränenden Augen im Kirchenchor, Woche für Woche, das ist schon starker dramaturgischer Tobak, das muss Kitsch sein. Weiter könnte sich das Ohr auch an eine Musik erinnern (Klaus Doldinger), die tatsächlich mit uns allen Schindluder treibt. In „Tatort“-Manier werden die letzten Reservoirs unserer Gefühlskammern angesprochen, jeder Ton ein Ereignis. Bald laute, bald leisere Crescendi und Decrescendi, mal gezupft, mal mit Pauke, begleiten den Zuschauer recht nachdrücklich und auch plakativ auf dem Weg des Unheils. Gut, vielleicht gibt es In dizien, die bei diesem Film tatsächlich für die Nähe zur Kolportage sprechen.

 

Und dann gibt es die zweite Möglichkeit: Der Zuschauer lässt sich gefangen nehmen von der großen und beeindruckenden schauspielerischen Leistung einer Angelica Domröse oder von Hilmar Thate. Vielleicht fällt beim Zuschauen auch die sehr sorgfältige Kameraführung von Henning Zick ins Gewicht. Da wird nicht einfach abgefilmt, sondern in die Gesichter geleuchtet, die etwas zu erzählen haben. Da wird nicht hektisch hin und her gefahren, sondern episch berichtet. Da wird eine Geschichte erzählt, die mir vielleicht nicht passt, weil ich mir das Leben stets weniger trivial wünsche, und die mich doch fesselt. Gewiss, alle Register für raffinierte Spannung sind gezogen, aber ist das Filmgeschehen deswegen schon abgeschmackt? Es scheint vielmehr so, dass der Zuschauer unter Umständen sehr viel mit seinen Berührungsängsten zu tun hat, Identifikation könnte unschicklich, sogar peinlich sein. Eva und Horst Kummeth provozieren den Betrachter zwar, doch sind sie weit davon entfernt, eine voyeuristische Palette anzudienen. Über den abstürzenden Schluss wird man sich unterhalten müssen: Hier hat einfach der Atem für ein verständiges Ende gefehlt, das Finale ist aufgesetzt (doch auch das gibt es im Leben). Bleibt als letztes die Frage nach Marco Hofschneider und der Figur eines Behinderten in diesem Drama. Wer die Konstellation für beleidigend hält, muss sich vielleicht selber prüfen. Wie angenehm soll’s denn – bitte schön – sein, damit wir uns am Fernseher wohlig und zuhause fühlen? Marode Verfahrenstechniken der Trivialdramaturgie wird man dem Film kaum vorwerfen können, aber mit überangestrengtem Kopf kann man der Erzählung auch auf den Leim gehen. „Hurenglück“ ist sicher nicht das Fernsehereignis des Jahres, wohl aber ein Produkt von bemerkenswerter künstlerischer Logik. Sehr oft wird uns das im Fernsehen nicht beschert.

 

31.1.1991 – Christian Hörburger/FK