Detlef
Rönfeldt Vita |
Die Liebenden
vom Alexanderplatz Abschiedsfilm
– Ohne viel Worte und große Gesten „ [...] Die Liebenden vom Alexanderplatz“ heißt der
Film, der sie noch einmal vor die Kamera und in ihre Geburtsstadt Berlin
bringt. Ausgestrahlt vom ZDF im Januar 2002, wird es vermutlich ihre letzte
große Rolle sein, ihr ‚Abschiedsfilm‘, sagt sie selbst – nicht zum ersten
Mal, aber diesmal sieht es so aus, als würde es zutreffen. Ein würdiger
Abschiedsfilm, dessen Geschehen sie nicht nur in das Berlin ihrer Jugend
zurückführt, sondern auch nach New York, in die Metropole, die sie immer
bewundert hat, wo sie gern Karriere gemacht hätte, wenn, ja wenn eben alles
anders gekommen wäre. Die Geschichte der „Liebenden vom Alexanderplatz“ birgt
viel Parallelen zu ihrem eigenen Leben und weckt Ihr ewiges Misstrauen stamme aus der Nazi-Zeit. ‚Seit
jenen Jahren traue ich nur noch mir‘, sagt sie bei der Vorstellung des Films.
Spät gesteht Ruth Levenstein in diesem Film ihrer Tochter, dass deren Vater
in Wahrheit ein deutscher Wehrmachtssoldat, ein ‚Arier‘ ist, und bereitet
damit auch Inge persönlich Kopfzerbrechen. ‚Ich habe immer im Bett gelegen
und gedacht, was wäre das für ein Unterschied, wenn sich herausstellte, dein
Papa war gar nicht dein Papa, deine
Mama hat ihn betrogen mit einem Arier.‘ Dass ihr Jule-Pa nicht ihr Vater sein
könnte, ist für sie ein unerträglicher Gedanke. ‚Meinen Vater habe ich mehr
geliebt als meine Männer. Wenn ich ehrlich bin, ist der ewige Mann in meinem
Leben mein Vater gewesen. Im Grunde habe ich alle Männer, die ich hatte,
betrogen mit meinem Vater.‘ Regisseur Detlef Rönfeldt, ursprünglich skeptisch
angesichts der Besetzung, vor allem wegen des branchenbekannten ‚Meyselns‘,
wird durch diesen Film zum ‚Meysel-Fan‘. Wie er sagt. Man spürt, er hatte
seine Vorbehalte, war sich vor den Dreharbeiten keineswegs sicher, ob es ihm
gelingen würde, die 91-jährige Schauspielerin dazu zu bringen, die „Fassade
zu durchbrechen und ihre schauspielerische Potenz wirklich einzubringen, um
eine Figur zu spielen und nicht immer
nur Inge Meysel zu sein.‘ Doch dann gibt es während des Drehs Momente, wo er ‚den
Tränen nahe‘ ist angesichts ihrer Glaubwürdigkeit, Wie schon so mancher
andere vor ihm stellt er fest, dass sie dann am besten ist, wenn sie sich
selbst schwach fühlt: ‚Es gab wunderbare Momente in der Arbeit mit ihr, wenn
sie wirklich physisch am Ende ihrer Kraft war.“ Einmal bricht während der
Mittagspause ein Teil ihres Gebisses. Die Zähne werden notdürftig gerichtet.
Inge nimmt das fürchterlich mit. ‚Jetzt ist Schluss, jetzt ist es vorbei,
jetzt geht es nicht mehr‘, denkt sie, doch gerade in diesem Augenblick ist
Rönfeldt von ihrer Leistung begeistert. ‚Die schönst Szene des ganzen Films
habe ich unmittelbar danach mit ihr drehen können, denn da war alles von ihr
abgefallen. Ich hatte plötzlich einen ganz kleinen Menschen vor mir in seiner
Nacktheit und Unmittelbarkeit. Das hat mich sehr gerührt. Da scheint sie gar
keine Kraft mehr gehabt zu haben, sich noch hinter irgendeinem öffentlichen
Bild zu verstecken. Durch den Zufall dieses Gebiss-Schadens habe ich etwas
erreicht, wovon ein Regisseur oft träumt: einen sehr authentischen Menschen
vor sich zu haben und nicht einen Schauspieler.‘ Auch die Kritiker registrieren, dass die Meysel auf ihr
berühmt-berüchtigtes Gebaren über weite Strecken verzichtet: ‚Kaum etwas ist
zu sehen bei dieser emotionalen Filmreise in die Vergangenheit vom berühmten
Meyselschen ‚Overacting‘. Keine großen Gesten, keine Aufgeregtheiten, keine
Posen‘, heißt es da voller Anerkennung. Und an anderer Stelle lobt man: „Wenn
sie das Auftrumpfende der Ich-bin-doch-nicht-senil-Greisin weglässt, sondern
eine zerbrechliche alte Frau spielt, die trotz ihrer Lebenserfahrung noch
offen ist für Neues, dann berührt ihr Spiel stärker, ohne viel Worte.‘ Angesichts des Lobes für ‚Die Liebenden vom Alexanderplatz‘
zeigt sich Inge ihrerseits keineswegs gerührt. Sie erklärt ihr
zurückhaltendes Spiel ganz pragmatisch: ‚Kinder, wisst ihr, ich kann mir
einfach nicht mehr so viel Text merken. Wenn ich eine längere Passage hatte,
habe ich den Regisseur gebeten: Mach mir doch zwei Sätze draus.‘ Tatsächlich
fällt es ihr zunehmend schwerer, sich die Texte zu merken. Aus Angst, nicht
alles behalten zu können, bekniet sie den Regisseur immer wieder, zu
streichen und zu kürzen, Wer sich den Film mit kritischen, geschulten Augen
anschaut, dem wird auffallen, dass es mehr Zwischenschnitte gibt als üblich,
dass ihre Blicke manchmal suchend zu Texthilfetafeln außerhalb des Bildes
wandern, ‚Ich glaube, sie hat sehr darunter gelitten, dass sie
nicht mehr so perfekt war, wie sie es von sich selbst erwartet hätte‘, meint
Detlef Rönfeldt. ‚Das muss für sie eine Quelle großer Trauer gewesen sein.‘
Während alle die Kraft und die Intensität, die sie mit ihren 91 Jahren noch
an den Tag legt, bewundern, wird es für Inge Meysel sicherlich eine bittere
Erkenntnis gewesen sein, dass nun tatsächlich der Punkt erreicht ist, wo sie
ihren eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht wird. Johanna Christine Gehlen, die Enkelin im Film, von Inge
nie beim Namen genannt, sondern immer nur als ‚die Junge‘ tituliert, hat
keinen leichten Stand neben der ‚starrköpfigen‘ Prominenten. Rund 60 Jahre
jünger als Inge, unter ganz anderen Bedingungen aufgewachsen, ist sie es
nicht gewohnt, von einer Partnerin ständig gegängelt und geschurigelt zu
werden. ‚Sie ist ein unglaublich starker Mensch mit einer unglaublich stark
ausgeprägten Persönlichkeit‘, bemerkt Gehlen, ‚das ist auch die Faszination,
die von ihr ausgeht, sie ist ganz extrem bei sich, nichts lenkt sie von ihrem
Weg ab. Die ist so bei sich, dass man, wenn man neben ihr ist und neben ihr
spielt, überhaupt nicht auf sie zählen kann. Die ist nie Partner beim
Spielen, sondern: Sie ist, wie sie ist, und du kannst als Spielpartnerin
gucken, wo du bleibst. Wenn man neben so jemandem spielt, dann bleibt einem
gar nichts anderes übrig, als auch ganz bei sich zu sein. Das kann man
lernen, aber es ist natürlich ein verdammt hartes Lernen.‘ Inge stichelt und meckert gegen Gehlen, steigert sich
zu guter Letzt wieder in eines ihrer Lieblingsgerüchte hinein, nämlich der
Regisseur und die junge Schauspielerin hätten ein Verhältnis. Das allein
scheint ihr zu erklären, warum Rönfeldt sich nicht ausschließlich mit ihr
beschäftigt und auch der anderen mal eine Großaufnahme gönnt. Gehlen muss oft
tief Luft holen, um noch spielen zu können, was der Film verlangt: nämlich
die innige Liebe zwischen Enkelin und Großmutter. ‚Du kannst machen, was du willst‘, nimmt sie
sich ganz fest vor, ‚du kriegst es nicht hin, dass meine Sarah deine Ruth
nicht liebt. Wenn sie mich gemaßregelt hat, habe ich mich nicht beirren
lassen, habe einfach an dieser Liebe zu ihr festgehalten. Und ich habe sie
sehr geliebt. Ich glaube nicht, dass sie mich wirklich geliebt hat als
Enkelin.“ Ständig trägt Gehlen ein Kinderbild von sich und ihrer
wirklichen Großmutter bei sich, was hilft, die positiven Gefühle
aufrechtzuerhalten. ‚Es war hinterher das größte Lob zu hören‘, stellte sie
fest, ‚ dass man mir diese Liebe in dem Film glaubt. Es war einfach ein
menschlicher Erfolg für mich, das mit dieser Frau, dieser Persönlichkeit zu
schaffen.‘ ‚Sie kann zauberhaft sein, aber sie kann auch biestig
sein‘, bringt es der Regisseur auf den Punkt. Doch das merkt man nur im Off.
Auf dem Bildschirm beweist Inge Meysel mit diesem letzten Film noch einmal,
was sie eigentlich sein könnte: eine große Charakterdarstellerin nämlich –
wenn sie sich nicht selbst davon abhielte. Je älter sie wird, desto häufiger
lässt sie sich von Regisseuren, die nicht einfach auf den Erfolg des
Meyselschen Abziehbildes setzen, ungewohnte Töne entlocken. Und so stellt
Detlef Rönfeldt fest, was auch John Olden sofort spürte: ‚Sie hat das
Potenzial, alles zu spielen. Ja, das hat sie.“ (Aus: Sabine Stamer: Inge Meysel – Ihr Leben, Hamburg:
Europa Verlag 2003, Taschenbuchausgabe: Bergisch-Gladbach: Bastei Lübbe Nr.
61 565, Juli 2004, S. 265 - 270 ) |