Detlef
Rönfeldt Veröffentlichungen |
DIE
ZEIT, 1. April 1988 Pikkolo
im Goldenen Prag: Es ist an der Zeit, den deutschen Lesern einen Autor
ins Gedächtnis zu rufen, der seit Mitte der sechziger Jahre zu den profiliertesten
Vertretern der tschechischen Prosa gehört, bei uns jedoch, trotz der steten
Bemühungen des Suhrkamp-Verlags, ein wenig in Vergessenheit geraten ist. Die
Rede ist von Bohumil Hrabal, der Anlass das Erscheinen seines opus magnum,
des Romans „Ich habe den englischen König bedient“, der nun endlich in
deutscher Sprache vorliegt, siebzehn Jahre nach seiner Entstehung und sieben
Jahre nach Erscheinen einer französischen Ausgabe. Trotz der Bestseller-Erfolge Milan Kunderas, der
jetzt in aller Munde ist, begegnet man hierzulande der tschechischen
Literatur immer noch mit Desinteresse. Die Frage stellt sich, ob Kundera –
der Exil-Tscheche – auch ohne diesen Umweg über Frankreich bei uns so bekannt
geworden wäre, und ich fürchte, man muss sie verneinen. Bei Bohumil Hrabal,
der – im Unterschied zu Kundera – die ČSSR nicht verlassen hat, obwohl
auch er nach 1968 in seiner Heimat lange Jahre nicht publizieren durfte und
erst 1987 wieder in den Schriftstellerverband aufgenommen wurde, liegt der
Fall nur wenig anders. Sein Name ist bisher selbst vielen Literaturkennern
bei uns kein Begriff, obwohl Hrabal schon früh, Mitte der sechziger Jahre,
ins Deutsche übersetzt wurde, und obwohl die Zahl der hierzulande
erschienenen Bücher inzwischen auf zwölf angewachsen ist. Bleibt nur zu
hoffen, dass auch in diesem Fall der Umweg über Frankreich dazu beiträgt,
einem tschechischen Autor die Aufmerksamkeit zu verschaffen, die er
verdient. In seiner Heimat gehört Hrabal, Jahrgang 1914, der wie
Kundera im mährischen Brünn geboren wurde, zu den meistgelesenen Autoren.
Auch die Jahre, in denen seine Werke nur in den Typoskript-Ausgaben der
„Edice Petlice“, des tschechischen Samisdat, kursieren konnten, haben
seiner Popularität keinen Abbruch getan. Bekannt wurde er 1963 mit seinem
ersten Erzählungsband, und in den darauf folgenden Jahren konnte er vieles
von dem veröffentlichen, was er bis dahin geschrieben hatte. Bis 1968
entstanden sieben Bücher mit zumeist kurzen Texten, in denen er aus der
Perspektive der „kleinen Leute“ das ganz normale Leben in seiner oft so
überraschenden Absurdität schilderte. Einen „Hašek des Sozialismus“ hat man
ihn genannt, weil er unter der Tarnkappe scheinbarer Naivität mit großer
Leichtigkeit und in oft derb-witziger Form Wahrheiten auszusprechen wagte,
deren Sprengkraft durch groteske Übersteigerung und burleske Komik nur
scheinbar abgefedert wurde. Als Erbe des Jaroslav Hašek, der den „Schwejk“
erfunden hat, gilt Hrabal aber auch wegen seines eigenwilligen umgangssprachlichen
Erzähltons, dessen Vorbild das schon von Hašek fruchtbar gemachte
„Kneipengespräch“ ist. Das diamantene Auge der Einbildungskraft Viele der Protagonisten Hrabals scheinen in der Tat an
einem Tresen zu stehen und zu schwadronieren. „Bafler“ hat Hrabal sie genannt,
jene zumeist ganz gewöhnlichen Menschen, die das Leben durch „das diamantene
Auge der Einbildungskraft“ sehen und in deren ungeordnetem, bierseligen
Gerede oft genug unvermutete Wahrheiten ans Licht kommen – auch wenn sie die
Wirklichkeit verzerren oder auf den Kopf stellen. Diesen Menschen und ihren
Wahrheiten hat von Anfang an Hrabals ganze Liebe gehört. Nicht zufällig hieß
sein Erstling: „Die kleine Perle auf dem Grund“.[1] Es war das sensationelle Debüt eines Autors, der schon
fast fünfzig Jahre alt war und ein bewegtes Leben hinter sich hatte: eine
Jugend in Nymburk, wo sein Vater Brauereiverwalter gewesen war (beschworen
in der sogenannten „Nymburker Trilogie“: „Die Schur“, „Schöntrauer“ und „Harlekins
Millionen“), Studium in Prag und mehr als ein halbes Dutzend verschiedener
Berufe. Hrabal arbeitete als Notariatsbeamter, Versicherungsagent,
Handelsreisender, Eisenbahner, Stahlarbeiter, Packer von Altpapier, Bühnenarbeiter.
Und immer hat Hrabal, der promovierte Jurist, genau hingesehen und hingehört,
und er hat während all dieser Jahre auch geschrieben – vermutlich seit 1938
schon. Prototyp eines „Baflers“ war der Ich-Erzähler aus
„Tanzstunden für Erwachsene und Fortgeschrittene“, dem ersten von Hrabals
Büchern, das – 1965 – in deutscher Übersetzung erschien. Ein alter Schuster,
namenlos, aber leicht zu identifizieren als jener „Onkel Pepin“, der auch
in anderen Texten Hrabals auftaucht, hielt einem „Fräulein“ einen pausenlosen
Monolog – in der unausgesprochenen, aber deutlichen Absicht, dem jungen
Mädchen seine ungebrochene Virilität zu beweisen. Der Text wurde abgespult in
einem Satz, knapp neunzig Seiten ohne jeden Punkt, im tschechischen Original
sogar ohne jedes Komma. Onkel Pepin erzählte, atemlos, was ihm gerade
einfiel, kleinste Fragmente von Gehörtem, Gesehenem, Gelesenem und Gedachtem
wurden – zumeist erotisch akzentuiert und syntaktisch ineinander verhakt –
nach Art der Traumlogik assoziativ gereiht: eine kontrastreiche Montage mit
der Tendenz zu äußerster Formlosigkeit. Auf die Ähnlichkeiten dieser Schreib-, besser:
Sprechweise, die für Hrabal so überaus typisch ist, mit der surrealistischen
écriture automatique ist oft und zu Recht hingewiesen worden. Auch
Hrabal selbst hat nie verhehlt, wie stark ihn der Surrealismus, der tschechische
und französische, beeinflusst hat. Von diesem Erzählton der „Bafler“ ist
auch der Roman „Ich habe den englischen König bedient“ getragen, auch wenn
der Bilder-Sturm der frühen Prosa merklich abgebremst ist. Pikkolo im Goldenen Prag Ich-Erzähler des Romans ist ein Kellner, der uns seine
Lebensgeschichte schildert, und er schildert sie als eine endlose Folge von
Momenten des Genusses. Er ist etwa fünfzehn, als er im Hotel „Goldenes Prag“
einer böhmischen Kleinstadt als Pikkolo, also: Hilfskellner, beginnt. Er
bringt es zum millionenschweren Hotelier, und er endet, geläutert, in der
Einsamkeit der böhmischen Wälder, wo er zum Schriftsteller wird. Der Pikkolo
ist körperlich klein, so klein, dass er diesen Defekt durch doppelt besohlte
Schuhe und einen stets hochgereckten Hals auszugleichen versucht. Aber was
hilft’s: Er heißt „Dítě“, zu deutsch „Kind“, und das ist sein großer
Kummer, denn er strebt nach Höherem. Früh lernt er, dass sich alles ums Geld dreht. Seine
erste Aufgabe als Pikkolo: auf dem Bahnhof heiße Würstchen zu verkaufen. Eine
Goldgrube. Durch kleine Betrügereien an eiligen Reisenden hat er bald eigenes
Geld zusammen. Und weil die ersten erwachenden Sehnsüchte sich auf die Frauen
richten, trägt er das Geld in ein Etablissement, von dem die Honoratioren,
die er am Stammtisch bedient, anzüglich flüstern. „Bei Rajský“ heißt es, und
leider geht in der deutschen Übersetzung verloren, was im tschechischen
Original mitschwingt, denn ráj heißt „Paradies“, und das ist mehr als
nur ein Wortspiel. Der Pikkolo erfährt, was in den „schönen Häusern“ vor sich
geht, wo die käuflichen Frauen sind (die bei Hrabal immer „Fräuleins“
heißen), und er erprobt die Macht des Geldes, das ihm „nicht nur die Tür bei
Rajský, sondern auch das Tor zum Ansehen, zur Achtung“ zu öffnen scheint. Die Stationen seines Lebens: Hotels und Restaurants.
Die Welt, wie sie uns der Pikkolo namens „Dítě“ in der ersten Hälfte des
Romans ausmalt, ist ein Schlaraffenland. In dieser Welt, fern jeder Wirklichkeit,
gibt es keinen Mangel und keine Vergeblichkeit, diese Welt ist ein Szenario
der Wunscherfüllung, ein Kindertraum, ein Paradies, und das Leben darin ist
eine endlose Folge von Festmählern und Schlemmereien, von ausgelassenen
Spielen mit den „Fräuleins“, die stets verfügbar sind und immer schön, eine
nie versiegende Quelle unbeschwerter Lust. In dieser Welt ist der Kellner nur Staffage. Seine
einzige Ehre: „die Regeln einer repräsentativen Bedienungskunst“. Ein Kellner
hat den Gästen seine Wünsche zu erfüllen, sobald, ja, bevor sie sich
regen. Das ist sein höchstes, sein einziges Ziel. Der Oberkellner
Skřivánek, dem der Pikkolo im Hotel „Paris“ begegnet, hat dieses Ziel erreicht.
Er verfügt über die verblüffende Fähigkeit, nicht nur Rang und Herkunft
eines Gastes zu erkennen, sondern auch vorherzusagen, was dieser Gast
bestellen wird. Er irrt sich nie, und auf die erstaunte Frage des Pikkolo,
woher er denn das alles wisse, antwortet er, so einleuchtend wie stereotyp:
„Ich habe den englischen König bedient“. Dieser Satz, den Hrabal augenzwinkernd zum Titel seines
Romans gemacht hat, ist die ironische Chiffre für den Gipfel einer Kellnerkarriere,
die außerhalb der realitätsfernen Welt, in der sie abläuft, keinerlei
Bedeutung hat. Und sie hat, strenggenommen, auch innerhalb dieser Welt keine
Bedeutung. Ein Kellner, Ministrant des Genusses, bleibt – trotz des Fracks,
der ihm einen trügerischen Rang verleiht, und auch wenn er den englischen
König bedient hat – immer nur Kellner. Nichts wäre falscher als die Illusion,
er sei den Herren, den betrunken albernden Honoratioren, die er bedient und
so gut durchschaut, ebenbürtig oder gar überlegen. Dem Pikkolo bleiben, außer
den „Fräuleins“ bei Rajský, nur seine Träume von Größe und von dem Reichtum,
mit dem er sich dereinst in der Welt Geltung zu verschaffen hofft. Die Realität, die aus der Perspektive der künstlichen
Paradiese der Hotels und Restaurants bizarr verkleinert erscheint, geradezu
als sei sie nicht vorhanden, bricht ein in Gestalt der Deutschen, die Prag
besetzen. Für den Pikkolo ist das ein großes Glück, scheint sich doch sein
Wunsch nach Achtung und Anerkennung zu erfüllen. Endlich verliert sich der
Makel des Nachnamens „Ditě“, der unter Tschechen eine stete Quelle von
Hänseleien und Herabsetzungen war (und dem Leser lange, wie verschämt,
verschwiegen wird). Die Deutschen nennen ihn „Herr Ditie“, und niemand denkt
sich etwas dabei: Das „Kind“ hat sich aus dem Namen verflüchtigt. Was Wunder, dass der Pikkolo – ohnehin [von Berufs
wegen] auf Anpassung getrimmt – zum Kollaborateur wird, zumal er sich auch
noch in eine sudetendeutsche Schwimmlehrerin verliebt, die erste Frau, zu
der er nicht aufblicken muss, weil sie so klein ist wie er selbst. Bei den
Deutschen lernt der Pikkolo, dass es nicht darauf ankommt, groß zu sein,
sondern sich groß zu fühlen. Bereitwillig plappert er völkische Parolen nach,
und der Leser hat – wie der Ich-Erzähler – den Eindruck, als hätten die
Deutschen Prag vor allem deshalb besetzt, um dem Pikkolo Genugtuung zu
verschaffen. Die weitere Lebensgeschichte des Pikkolo ist von
bizarrer Komik. Denn das Leben außerhalb der Hotels und Restaurants ist eben
kein Szenarium der Wunscherfüllung. In dieser Welt wird nicht das
Geplante, Erhoffte, Gewünschte, sondern immer und immer wieder nur „das
Unglaubliche Wirklichkeit“ – Leitmotiv des Romans. Das Leben ist die Bühne
eines burlesken Spiels mit absurder Dramaturgie, unabsehbar und voller
Überraschungen, mit abrupten Umschwüngen und unerwarteten Winkelzügen, in
dem Glück und Unglück ununterscheidbar nah beieinander liegen. Hrabal
lässt uns spüren, wie wenig bedauerlich er das findet. Und die Freude des
Autors an den Bocksprüngen des Lebens überträgt sich unmittelbar auf den
Leser. Die Welt, das Paradies Alles zu sehen und zu hören und zugleich nichts zu
hören und zu sehen – so wird gleich zu Beginn des Romans die Aufgabe des
Pikkolo beschrieben. Und das ist Hrabals eigentliches Thema. War mit dieser
paradoxen Forderung zunächst bauch nur jene Mischung aus Aufmerksamkeit und
Diskretion gemeint, die den guten Kellner auszeichnet, so spannt sich doch
von dort der Bogen über eine schrittweise Erweiterung der Wahrnehmung bis
hin zu einer Transzendenz der Sinne, die am Ende als das höchste Ziel
erscheint und der die Welt – auch dort, wo sie den Menschen „mit Bitterkeit
erfüllt“ – zum Paradies wird, einem Paradies, das in seiner
unmittelbaren Gegenwart schon die Ewigkeit selbst ist. In diesem Sinne ist
Hrabals Paradies ganz entschieden von dieser Welt. Er stellt nicht, wie
Comenius, jener andere berühmte Tscheche, dem „Labyrinth der Welt“ ein
„Paradies des Herzens“ gegenüber, und der Weg der Abkehr von den Menschen,
den er seinen Ich-Erzähler am Ende gehen lässt, hat nur auf den ersten Blick
etwas zu tun mit der Adieu-Welt-Attitüde, mit der sich etwa ein
Simplicissimus von der „eitlen“, vergänglichen Welt zurückzieht. Sanfte Barbaren Für Hrabal ist jeder Ort der Welt Mittelpunkt eines
Paradieses. Dieser Überzeugung, die sich durch sein ganzes Werk zieht, hat er
auch in dem Band „Sanfte Barbaren“ Ausdruck gegeben, der im vergangenen Jahr
in deutscher Sprache erschienen ist. Dieses Buch enthält zwei Erzählungen,
wobei der Text, der dem Band den Titel gegeben hat, nicht eigentlich eine
„Erzählung“, sondern Hrabals Hommage an einen Freund ist, den
surrealistischen Maler Vladimír Boudník, der 1969 Selbstmord begangen hat.
Der Text lag bereits seit 1974 vor, ist allerdings in Hrabals Heimat nur in
einer verstümmelten Fassung erschienen. Um zu verstehen, warum das so ist,
genügt es, das Manifest zu lesen, das unter der Überschrift „Abdankung“ den
Text beschließt – ein Manifest, das [bereits zwanzig Jahre zuvor entstanden
war,] sich [aber] heute genauso subversiv und aufmüpfig liest wie damals. Vladimír Boudník hat – als Mensch und als Künstler –
eine Haltung dem Leben gegenüber, zu der der Pikkolo aus „Ich habe den
englischen König bedient“ erst am Ende eines langen Weges findet. Boudník
wird von Hrabal als „Aristokrat“ bezeichnet, er ist einer, der – „obgleich
Proletarier“ – „durch seine Art zu leben all diejenigen zur Nachahmung
bewegen will, die noch daran glauben, dass das Leben es wert ist, voll und
ganz gelebt zu werden“. Um das Leben für „einmalig und also herrlich“ zu
halten, komme es nur darauf an, so heißt es, auch kleinen Dingen „die
Schicksalsmacht einer erstaunlichen Begebenheit“ zuzuerkennen: „Springt nur
mutig und kopfüber in die unwiederbringliche Gegenwart hinein, und ihr seid
im Nu direkt im Herzen der Ewigkeit.“ Solche Töne finden sich auch in dem Roman „Ich habe den
englischen König bedient“. Aber man täusche sich nicht: Der Ich-Erzähler
dieses Romans ist – trotz solcher gewichtiger philosophischer Gedanken –
zuallererst ein „Bafler“, und er bedient sich, wie jener Onkel Pepin aus den
„Tanzstunden“ einer Umgangssprache, deren unmittelbarer Erzählton leider in
der deutschen Übersetzung verloren geht, ja verloren gehen muss, weil das
Deutsche nicht über einen solchen spezifisch umgangssprachlichen
Erzählgestus diesseits der Dialekte verfügt wie das Tschechische. Auch Karl-Heinz Jähn, der den Roman ansonsten
gewissenhaft und bis auf Einzelheiten genau übersetzt hat, ist nicht der
Gefahr entgangen, dass der deutsche Text gefälliger, glatter, geschliffener,
„schriftsprachlicher“ wirkt als das Original. Leider ist der Text zudem in
der deutschen Ausgabe typographisch stärker gegliedert als das – in der
ČSSR nie offiziell erschienene – Original und wird damit schon äußerlich
dem Monolog des Onkel Pepin ferner gerückt als nötig. Man fragt sich auch, warum Karl-Heinz Jähn es für nötig
gehalten hat, die identischen Einleitungsformeln der fünf Kapitel – „Passen
Sie auf, was ich Ihnen jetzt sagen werde“ – in der Übersetzung stärker zu
variieren, als es Hrabal selbst getan hat. Wer denkt dabei nicht – noch
einmal – an Milan Kundera und seine Beschwerde über den merkwürdigen Drang
der Übersetzer, gestaltend in die Texte einzugreifen und dort, wo wörtliche
Wiederholungen richtig wären, die Texte
durch Synonyme zu „verbessern“. Das Malen aller dieser Bilder Am Ende seines Lebens wird der Ich-Erzähler des Romans
selbst zum Dichter. Er versucht, sich angesichts des Todes „mit Hilfe der
Schrift und des Schreibens“ selbst zu befragen, damit die Erinnerung an „all
das Unglaubliche, das Wirklichkeit geworden war“, nicht mit seinem Tod
verloren geht: „Mich überkam der Wunsch, alles aufzuschreiben, so wie es
gewesen war, damit auch die anderen Menschen es lesen konnten, doch auf eine
Weise, die ich ‚das Malen aller dieser Bilder’ nenne, die sich wie Perlen
aufreihen ließen, wie ein Rosenkranz auf den langen Faden meines Lebens.“ Und so erweist sich jetzt die Lebensgeschichte des
Kellners namens „Ditě“ auf zweifache Weise als Wunscherfüllung: für den Ich-Erzähler
- und für den Leser. Hrabal hat einen saftigen, prallen Schelmenroman geschrieben,
voller farbiger Episoden und pikanter erotischer Details, humorvoll und
poetisch, leicht und so sehr scheinbar absichtslos dahinfabuliert, dass
man vergessen könnte, wie straff alle Einzelheiten von wenigen Grundideen
zusammengehalten werden. Vor allem anderen ist dieser Roman aber ein umwerfendes
Lesevergnügen – als sei er selbst einer der Genüsse, die er lustvoll
beschreibt. Er löst damit ein, was eine der vielen Nebenfiguren des Romans,
ein Professor für französische Literatur, gefordert hat: dass nämlich „die
Poesie ein Vergnügen sei“, denn dann reiche sie „immer zum Transzendenten
hin, das heißt zum Endlosen und zur Ewigkeit“. Mit diesem Buch, das wir nun
endlich zu lesen bekommen, ist die Geschichte des europäischen Romans um ein
Meisterwerk reicher.
|
[1] Dieses Buch hat für die
Filmregisseure der tschechoslowakischen „Neuen Welle“, die zur Zeit des
Prager Frühlings auch auf dem Gebiet des Films eine grundlegende Erneuerung
herbeiführen wollten, eine kaum zu überschätzende Bedeutung gehabt.