Detlef Rönfeldt

 

 

Vita
Filmografie

Veröffentlichungen
Lehrtätigkeit
Aktuelles

Kontakt

 

Veröffentlichungen

 


DIE ZEIT, 12. Mai 1989

Prager Ironie

Zwei Bücher von und über Bohumil Hrabal (Rezension)

Die Welt, wie Bohumil Hrabal sie sieht, ist eine „gigantische Kneipe“. Seine Figuren sprechen über ihr Leben, als hätte das zweite oder dritte „zehngrädige Bierchen“ ihnen die Zunge gelöst: brabbelnd, schwa­­felnd, bramarbasierend, sprunghaft, respektlos, obszön, aber immer lustvoll, immer voller Enthusiasmus. „Automát Svět“ („Stehimbiss Welt“) hieß, so pro­gram­­matisch wie folgerichtig, ein Band mit ausgewählten Texten Hrabals, der 1966 in Prag erschien – zu einer Zeit, als Hrabals „spontaner Surrealismus“ zum Inbegriff der Liberalisierung geworden war, jenes „Prager Frühlings“ also, der 1968 im Herbst so freundschaftlich be­en­det wurde.

Das Licht der Welt, die er liebt, „weil selbst die furchtbarsten Ereignisse so viel Schönheit“ für ihn haben, erblickte Bohumil Hrabal am 28. März 1914 im mährischen Brünn – also vor 75 Jahren. Er gilt, neben Milan Kundera (der auch aus Brünn stammt, heute allerdings im französischen Exil lebt), als zweite Ga­lionsfigur der tschechischen Gegen­warts­literatur. Freunde und Leser wollten ihn schon vor zwanzig Jahren zum „König der tschechischen Prosa“ krönen. „Ich bin we­der ein innerer noch ein äußerer Emi­grant“, hat Hrabal jüngst geschrieben. Und: „Es würde mir nicht im Traum einfallen, die politischen Verhältnisse, in denen ich lebe, verändern zu wollen.“ Sein Widerstand ist anderer Art: Hrabals Helden sind „auf Erlebnisse versessene Men­schen, deren Köpfe vor tollen Träu­mereien glühen“. Jeder für sich ist der Sou­verän einer Welt, die sich – durch das „Diamantauge“ der Ima­gination gesehen – in ein irdisches (und zutiefst mensch­liches) Paradies verwandelt hat.

Seit 1976 dürfen Hrabals Bücher in Prag wieder erscheinen. Er hat sich mit der Staats­gewalt „arrangiert“, und das hat ihm den Vorwurf des Opportunismus einge­bracht. Zu Unrecht. Denn die Geschichte dieses „Arrangements“, sein „Widerruf“, in dem es mehr um Bier und Fußball als um Politik ging; sein schlitzohriger Umgang mit den eigenen Texten, die er vor der „offiziellen“ Veröffentlichung sämtlich um­arbeiten musste und die daneben in inof­fiziellen Versionen kursieren oder in Exil­verlagen erschienen sind – das alles liest sich, als sei es selbst ein Text von Hrabal.

Und es ist auch ein Stück jener „Prager Ironie“, die er so definiert hat: „Sie ist der vergebliche Kampf um den Menschen und für seine Sicht auf die Welt, die ihn umgibt, sie ist der Kampf der Mensch­lichkeit gegen den bloß formalen Huma­nismus, sie ist die Schlacht gegen die allein­seligmachende Staatstheorie und den Apparat der Bürokratie.“

Zu Ehren Hrabals (und pünktlich zu seinem Geburtstag) hat sein deutscher Verlag zwei Bücher vorgelegt. Das eine, „Hommage á Hrabal“, ist ein von Susanna Roth mustergültig edierter Sammelband mit Erinnerungen von und an Hrabal, mit Gesprächen, Essays, Erzählungen und Photos aus Hrabals Leben. Es ist, als erste Möglichkeit, sich hierzulande hand­fest und umfassend über den „Hašek des Sozialismus“ zu informieren, kaum hoch genug zu rühmen. Das andere, „Das Städt­chen am Wasser“, ist die un­veränderte, nur um Bilder Josef Jirás er­weiterte Neuausgabe der bereits in drei Einzelbänden der Bibliothek Suhrkamp vorliegenden „Nymburker Trilogie“ („Die Schur“, „Schöntrauer“, „Harlekins Millio­nen“), in der Hrabal seine „verlorene Zeit“ in dem Städtchen Nymburk beschwört, in dem sein Vater seit 1920 Brau­erei­ver­walter war.

Die Freude über so viel Hrabal ist zu groß, um den Verlag ob seiner Editions­praxis zu rügen. Wünschenswert wäre allerdings gewesen, dem „Städtchen am Wasser“ ein Nachwort beizufügen, in dem, sagen wir, Susanna Roth die ver­wickelte Entstehungsgeschichte dieser Texte hätte nachzeichnen können. Susan­na Roth ist eine der besten Hrabal-Kennerinnen bei uns. Sie war es auch, die anlässlich der deutschen Erstausgabe der „Nymburker Trilogie“ in einer Rezension (in der Neuen Zürcher Zeitung) völlig zu Recht die Frage gestellt hat, wie sinn­voll es sei, umgearbeitete tschechische „Originale“ schlicht zu übernehmen. Sie hat damals sehr kritische Worte an den Verlag gerichtet, für den sie jetzt „Hom­mage à Hrabal“ herausgegeben hat: „Seit Hrabal publizieren darf, verfasst er Varia­tionen seiner Texte. Bevor aber eine offen­sichtlich (selbst) zensierte Fassung wie „Schöntrauer“ einem fremd­sprachigen Publikum kommentarlos vorgelegt wird, sollte der Verlag sich überlegen, ob er dem Autor (und sich selbst) längerfristig nicht eher schadet.“

„Das Städtchen am Wasser“ ist insofern also eine verpasste Chance. Durch die gleichzeitig erschienene „Hommage á Hrabal“, die jedem, der es genauer wis­sen will, nachdrücklich empfohlen sei, wird möglicher Schaden allerdings mehr als aufgewogen.


Hommage á Hrabal
Herausgegeben von Susanna Roth,
Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1989, 295 S.

Bohumil Hrabal:
Das Städtchen am Wasser
„Nymburker Trilogie“: „Die Schur“, „Schöntrauer“, „Harlekins Millionen“,
Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1989, 660 S.